Hörspaziergänge zum Frauenviertel Rudow
& Manifest für feministische Stadtgestaltung
Ein Projekt von Mareike Wenzel und Anna Krenz
Premiere und Audiowalk: 16.11.2025 | Mehr Infos >>>

„Eine Frau kann Großes leisten, wenn sie die richtige Ermutigung und Unterstützung hat.”
Christine de Pizan, «Das Buch von der Stadt der Frauen», 1404
Das Frauenviertel in Rudow – ein Stadtteil am Rand Berlins, doch auch ein Symbol. Hier tragen alle Straßen Frauennamen: Spuren von Leben, Arbeit, Fürsorge und Widerstand. Zwischen den Häusern summen Geschichten – wie Bienen im Schwarm. Sie erzählen von Sichtbarkeit, Gemeinschaft und Mut. Von Frauen, die Räume schufen, Gesetze änderten, Kinder heilten und Archive bewahrten.
Das Projekt „Mehr als Namen – Frauen*räume schaffen“ von Schauspielerin und Regisseurin Mareike Wenzel und Künstlerin und Architektin Anna Krenz lädt dazu ein, feministische Stadtgeschichte neu zu entdecken. Gemeinsam mit anderen Frauen* begeben sie sich auf die Spuren historischer Frauen, ziehen Parallelen zur Gegenwart und schreiben neue Geschichten für ein Frauenviertel der Zukunft.
Mareike Wenzel entwickelte das Konzept für den Audiowalk. Sie führte Gespräche mit Expertinnen wie Claudia von Gélieu, Politikwissenschaftlerin und Autorin aus dem Frauenviertel Rudow sowie anderen Expertinnen und Frauen* rund um das Frauenviertel und darüber hinaus. Diese Stimmen verwebt sie mit den Geschichten der namensgebenden Frauen sowie mit fiktiven Geschichten über Bienen und das Zusammenleben, Erzählung über Sichtbarkeit und Selbstbestimmung.
Anna Krenz entwickelte das visuelle und theoretische Manifest der feministischen Stadt, basierend auf Analysen und Recherchen im Frauenviertel sowie auf ihrer urbanistischen Theorie des „Spiral Model“. Das Manifest entsteht in Text und Illustration und bildet ein künstlerisches wie methodisches Nachdenken über Stadt, Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
Inspiriert vom Leben der Bienen – den ältesten Architektinnen der Welt – verbindet das Projekt Fürsorge, Gemeinschaft und nachhaltige Stadtentwicklung. Gemeinsam schaffen Wenzel und Krenz ein vielschichtiges Narrativ über feministische Stadtgestaltung.
Der Audiowalk findet zunächst live im Frauenviertel statt (16.11.2025 >> Mehr >>) und ist anschließend online abrufbar. Beide Formate bilden gleichberechtigte künstlerische Zugänge zu einem gemeinsamen Thema: der Sichtbarkeit von Frauen* im urbanen Raum.
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Frauenviertel Rudow – Ein sichtbares Zeichen mit leisen Widersprüchen
Am südlichen Rand Neuköllns, auf den früheren Rudower Feldern, entstand Mitte der 1990er Jahre ein neues Wohngebiet mit rund 1700 Wohnungen. Das Besondere: Alle Straßen, Plätze und Wege tragen die Namen von Frauen. Es war eines der ersten „Frauenviertel“ Deutschlands – ein starkes Symbol für Sichtbarkeit und Gleichberechtigung im Stadtraum.
Doch die Entstehung war nicht ohne Widerstand. Gegner zweifelten, ob es überhaupt genügend „würdige“ Frauen gäbe, nach denen man Straßen benennen könne. Politiker der Berliner CDU bezeichneten den Namen Frauenviertel gar als „anstößig“ und drängten auf die Bezeichnung „Gartenstadt Rudow“ – sauber, ruhig, bürgerlich. Es dauerte einige Jahre und brauchte viel politisches Engagement von Frauen*, bis der Name von Gartenstadt Rudow offiziell zu Frauenviertel geändert wurde.
Heute erinnert das Viertel an 19 außergewöhnliche Frauen, die sich in Politik, Wissenschaft, Kunst oder Widerstand engagierten. Von Elisabeth Selbert, Mitverfasserin des Grundgesetzes, bis zu Ottilie Baader, Sozialistin und Frauenrechtlerin. Ihre Namen prägen die Wege dieses Stadtteils.
Dieser Stadtteil sollte ruhig, grün und familienfreundlich sein – wurde aber zu einer typischen Schlafstadt am Rand Berlins. Es gibt kaum Arbeitsplätze, wenige Treffpunkte und limitierte Kulturangebote. Die versprochene U-Bahnstation „Lieselotte-Berger-Platz“ wurde nie gebaut. Wer kein Auto hat, ist hier abgehängt. Die feministische Idee der Sichtbarkeit bleibt in der Infrastruktur unsichtbar. Heute wirkt das Viertel fast idyllisch: gepflegte Vorgärten, niedrige Häuser, viel Ruhe. Und Leere. Das Frauenviertel Rudow bleibt damit ein Ort zwischen Symbol und Realität – ein Versuch, Geschichte weiblich zu schreiben, und zugleich eine Einladung, über gerechte, fürsorgliche und inklusive Stadtgestaltung neu nachzudenken.
Doch hinter dieser Idylle stehen offene Fragen: Sind Straßenschilder genug?
Lesetipp: Claudia von Gélieus Buch „Wegweisende Neuköllnerinnen: Von der Britzer Prinzessin zur ersten Stadträtin“ porträtiert die Frauen des Frauenviertels und andere bedeutende Neuköllner*innen.

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Theorie, Methode und feministisches Stadtmanifest
Die feministische Stadt ist nicht nur ein Raum der Gleichberechtigung, sondern ein Raum der Fürsorge, Sichtbarkeit und Gemeinschaft. Es geht nicht nur darum, Straßen nach Frauen zu benennen, sondern auch zu fragen: Für wen ist die Stadt gemacht? Wer darf sich in ihr sicher, gehört und gebraucht fühlen?
Recherchen, Interviews und Spaziergänge durch das Frauenviertel in Berlin-Rudow bildeten den Ausgangspunkt für das Manifest der feministischen Stadt – entwickelt mit dem “Spiral Model” von Anna Krenz, das zugleich Theorie, Methode und Manifest ist.
Das “Spiral Model” ist ein konzeptionelles Rahmenwerk, das einen dreidimensionalen Raum (x, y, z) mit vierter Dimension Zeit (t) integriert. Im Gegensatz zu linearen oder zirkulären urbanen Modellen betont es die Zeit – Transformation, Geschichte und Erinnerung als Grundlagen einer nachhaltigen Zukunft. Inspiriert von natürlichen Wachstumsformen wie Flechten oder der Bienenwabe stellt es geschwindigkeitsorientierte Stadtmodelle wie die „15-Minuten-Stadt“ in frage. Das angewandte Modell verbindet Kunst, Reflexion, Raumerfahrung und Biografien von Frauen*; es schafft Brücken zwischen Ökologie, feministischer Theorie und Stadtplanung.
Die zehn Punkte des Spaziergangs entsprechen den Kapiteln des Manifests – von mythischen Ursprüngen bis zur Gegenwart, von Arbeit, Fürsorge und Mobilität bis zur Stimme der Frauen* in der Stadt. Jede Station bezieht sich auf eine Namenspatronin der Straßen im Viertel – Frauen*, die die Welt auf unterschiedliche Weise verändert haben, von Eva bis Ottilie Baader. Ihre Biografien werden zu Ausgangspunkten urbaner Analysen: Wir betrachten die Stadt durch ihre Erfahrungen, durch die Metaphern ihres Lebens.
Das Projekt ist inspiriert vom Leben der Bienen – sowohl der Honig- als auch der Wildbienen. Jede künstlerische Position bezieht sich auf Aspekte ihrer Gemeinschaft, Kommunikation und Fürsorge – als Metaphern für ein feministisches, vernetztes und nachhaltiges Zusammenleben.
So entsteht ein Manifest der/des feministischen Stadt(Teils) – offen und nicht-hierarchisch, in dem Denken und Fühlen, Erinnerung und Planung, Individualität und Gemeinschaft sich wie Fäden in einer Spitze verweben.
Die feministische Stadt ist kein fertiges Projekt, sondern ein Prozess. Sie entsteht nicht auf Papier, sondern in Beziehungen, Gesprächen, Fürsorge und Erinnern. Eine Stadt, die sich Zeit nimmt, die zuhört – in der Menschen, Tiere und Natur im Einklang leben können. Eine Stadt, die wir zusammen gestalten.
Zum Weiterlesen: „The Spiral Model“ (auf Englisch) annakrenz.art/spiral-model
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Protagonistinnen:

Die mythische Eva
In manchen patriarchalischen Kulturen ist die mythische Eva ein Symbol für Schuld und Sünde. Hier ist Eva eine Frau mit Wahlmöglichkeiten, freiem Willen und Entscheidungsgewalt. Sie ist der Archetyp des Endes und des Anfangs, der Archetyp der ersten Schöpferin. Der Apfelbaum, in vielen Kulturen Symbol für Erkenntnis und Lust aber auch neuen Ursprungs – des Stadtanfangs.

Die Ursulinen
Die Ursulinen sind ein katholischer Frauenorden, gegründet von Angela Merici in Brescia/Italien. Heute sind sie vor allem in Bildung und Erziehung tätig, mit zahlreichen Schulen weltweit. Die Straße erinnert daran, dass sieben Schwestern von 1877 bis 1908 in Rudow Zuflucht fanden, nachdem die Niederlassung in Berlin Mitte aufgelöst wurde. Entlang der Ursulinenstraße liegen auch die drei Straßen der Mütter des Grundgesetzes: Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Wessel und Helene Weber.

Die Hexe
Auf dem Grimm-Spielplatz im Nordpark steht eine Holzskulptur einer Hexe – eine Baba Jaga mit schwarzem Kater. Die Figur erinnert an alte Märchen und zeigt, dass Hexen nicht nur böse, sondern auch faszinierende und vielschichtige Gestalten sind. Früher wurden kluge Frauen, deren Wissen Männer erschreckte, als Hexen bezeichnet und verfolgt. Oft lebten sie allein, beschäftigten sich mit Heilpflanzen und Medizin und lebten im Einklang mit der Natur.

Elfriede Kuhr (*1891, Berlin; † 1966, Berlin)
Ärztin und Kommunalpolitikerin, eine der wenigen Frauen ihrer Zeit, die Medizin an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität studierte. Sie leitete ab 1927 eine Abteilung, die sich mit der statistischen Auswertung von Sterblichkeit und Gesundheitsfragen befasste. Nach dem Krieg arbeitete sie als Amtsärztin in Neukölln und setzte sich für die öffentliche Gesundheitsversorgung ein. Sie war Mitglied der CDU, der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln und Bezirksstadträtin. 1955 wurde sie in das Abgeordnetenhaus von Berlin (West) gewählt, dem sie erneut von 1959 bis 1963 angehörte.

Lieselotte Berger (* 1920, Berlin-Spandau; † 1989, Berlin-Spandau)
Politikerin (CDU) aus Berlin. Wie einige der im Frauenviertel repräsentierten Frauen, wurde bei der Benennung die politische Vergangenheit einiger außer Acht gelassen, so trat Lieselotte Berger 1938 der NSDAP bei. Nach 1945 studierte sie Soziologie und arbeitete als Journalistin. Seit 1958 Mitglied der CDU, engagierte sie sich stark für Frauen in der Politik, u.a. als Landesvorsitzende der CDU-Frauenvereinigung Berlin (1960–1969). Von 1987 bis zu ihrem Tod war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeskanzler und Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin.

Gertrud Dorka (* 1893, Orlau; † 1976, Berlin)
Lehrerin und Prähistorikerin – die erste Direktorin eines staatlichen Museums in Deutschland. Sie verweigerte den Eintritt in die NSDAP und blieb bis 1947 Lehrerin. Ab 1947 leitete sie das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Berlin und engagierte sich für den Wiederaufbau der kriegsbeschädigten Sammlungen. Sie erforschte frühgeschichtliche Funde in Neukölln und veröffentlichte 1961 darüber eine systematische Übersicht. Als Pionierin in der Archäologie förderte sie die Rolle von Frauen in Wissenschaft und Kultur.

Elisabeth “Elly” Heuss-Knapp (*1881, Straßburg; † 1952, Bonn)
Pädagogin, Politikerin und Sozialreformerin. Sie engagierte sich zeitlebens für Frauen und soziale Gerechtigkeit – besonders für Mütter und berufstätige Frauen. Außerdem erfand sie die moderne Radiowerbung, die sie mit ihren kreativen Jingles und Slogans revolutionierte. In Berlin unterrichtete sie an der Alice-Salomon-Schule und im Pestalozzi-Fröbel-Haus. Nach 1945 unterstützte sie den Wiederaufbau sozialer Strukturen und gründete 1950 das Deutsche Müttergenesungswerk. Ihr Ehemann war Bundespräsident.

Jeanette Wolff (*1888, Bocholt; † 1976, Berlin)
Sozialdemokratin, Widerstandskämpferin und Überlebende des Holocaust. Nach Verfolgung und Deportation nach Riga und Stutthof kehrte sie 1946 nach Berlin zurück, wo sie sich besonders in Neukölln für soziale Gerechtigkeit und die Rechte von Frauen und Überlebenden einsetzte. Als SPD-Politikerin und Mitbegründerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurde sie zu einer wichtigen Stimme jüdischer Frauen in der Nachkriegszeit.

Ottilie Baader (*1847, Raake (heute: Raków, Polen); † 1925, Berlin)
Frauenrechtlerin und Sozialistin in Berlin. Sie kämpfte für politische Mitbestimmung und Bildung von Arbeiterinnen und leitete von 1900 bis 1908 als Zentralvertrauensperson die sozialdemokratische Frauenbewegung und anschließend das “Zentralfrauenbüro”. 1891 nahm sie am Internationalen Arbeiterkongress in Brüssel teil und setzte dort gemeinsam mit anderen Frauen das Recht auf Gleichstellung durch. Neben Clara Zetkin kämpfte sie für das Frauenwahlrecht.

Du:
Wer immer du bist – egal welches Alter, Geschlecht, welche Herkunft, Religion oder welchen sozialen Status du hast – du bist relevant. Du hast Rechte und vielleicht auch Möglichkeiten, dein unmittelbares Umfeld und die Stadt, in der du lebst, aktiv mitzugestalten. Deine Stimme zählt.
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1. Von Anfang bis Apfel
Ort: Nordpark, Apfelbäume an der Schönfelder Str. / Ecke Ursulinenstr.
Frauenviertel Rudow: In den späten 1990er Jahren, nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde der Bebauungsplan für das neue Wohngebiet Frauenviertel Rudow auf den ehemaligen Rudower Feldern entwickelt. Es sollte ein Modellbeispiel für ein Leben „im Grünen“ sein: niedrige Bebauung, Ein- und Mehrfamilienhäuser, breite Straßen, Grünstreifen, Spielplätze. Eine idyllische Vorstadtlandschaft innerhalb der Stadtgrenzen. Die Nachbarschaft grenzt im Norden an den Nordpark, im Süden an den Südpark und wird an den Seiten von breiten Hauptstraßen flankiert.
Persona: Eva – die erste Frau, Mutter der Welt. Aber auch der Archetyp von Unabhängigkeit, Wissen und Mut zur Erkenntnis. Im Nordpark wächst ein Apfelhain – Baum des Anfangs, Baum der Erkenntnis und des Verlangens. In verschiedenen Kulturen symbolisierte der Apfel Freude und Schuld, Leben und Tod, Weisheit und Sünde. Hier wird er zum Zeichen der Erneuerung und des schöpferischen Impulses: Ein Samen ist der Anfang des Lebenszyklus, eine Idee ist der Anfang jeder Planung.
Metapher der Bienen: Die Bienenkönigin verkörpert die Kraft des Ursprungs. Sie bildet die Gemeinschaft, um die herum der Bienenstock entsteht. Honigbienen formen ihre Nester aus reinem Wachs und teilen sie in Bereiche: Aufzucht und Vorrat. Wilde Bienen hingegen handeln anders – jedes Weibchen baut sein Nest selbst aus Lehm, Sand oder Pflanzenfasern. Ihr Überleben hängt von der Vielfalt der Umgebung ab. Die Artenvielfalt von Blumen bestimmt das Leben im Bienenstock – ohne sie gibt es kein Gleichgewicht.
Stadtgestaltung: Eine Stadt entsteht nicht an einem Tag. Sie braucht Zeit, um Wurzeln zu schlagen, zu wachsen und mit Leben gefüllt zu werden. Bei der Planung neuer Quartiere ist es entscheidend, die Bedürfnisse verschiedener Gruppen zu berücksichtigen – Frauen*, Kinder, ältere Menschen, Familien, Migrant*innen, Menschen mit Behinderungen… Städte brauchen gemischte Nutzung (mixed-use): Wohnungen, Läden, Cafés, Bibliotheken, Werkstätten, Arbeits- und Erholungsorte in einem Gewebe. Die Trennung von Funktionen – Wohnen von Arbeiten, Arbeiten von Erholung – führt zu Isolation und „Aussterben“ sozialen Lebens. Im Städtebau ist neben der Funktion auch die räumliche Gestaltung entscheidend – eine kompakte, dichte Stadtstruktur („Compact City“) gilt als nachhaltiges Modell, das kurze Wege, vielfältige Nutzungen und einen sparsamen Umgang mit Grün- und Freiflächen fördert und der städtischen Ausdehnung entgegenwirkt.
Feministische Perspektive: Vielfalt ist die Grundlage des Lebens – in der Natur und in der Stadt. Feministische Stadtplanung setzt auf Zugänglichkeit, Flexibilität und Koexistenz von Funktionen, die Integration und Selbstständigkeit fördern. Frauen* bewegen sich oft in Alltagsräumen – zwischen Arbeit, Schule, Einkauf, Zuhause – und genau dieser Raum sollte für sie gestaltet werden. Die feministische Stadt ist wie eine Wiese – offen, vielfältig, voller Energie und wechselseitiger Abhängigkeit.

2. Gemeinschaft und Zusammensein
Ort: Nordpark, Ursulinenstr. entlang, bis Elfriede-Kuhr-Str.
Frauenviertel Rudow: Das Frauenviertel Rudow verfügt zwar über soziale Infrastruktur – Jugendclub, Kirche, Spielplätze, Kitas, Schulen – doch das gemeinschaftliche Leben im öffentlichen Raum bleibt, außer zu gelegentlichen Veranstaltungen still und der zentrale Platz leer. Der Wochenmarkt wurde kaum besucht. Das Viertel wirkt ruhig, fast schläfrig hinter Hecken, Wohnungen und Gärten. Es fehlen Orte, die zur Begegnung einladen, zum Bleiben, zum Austausch.
Persona: Die Ursulinen stehen als Symbol für weibliche Gemeinschaft, Bildung und Unterstützung. Ihre Klöster waren Schulen, Werkstätten und Schutzräume zugleich. Frauengemeinschaften waren immer Orte der Fürsorge und der Kraft – rund um Feuer, Arbeit, Gesang. Die abführenden Straßen sind nach den “Müttern des Grundgesetzes” benannt, besonders Elisabeth Selbert setzte sich für den Artikel 3 also der Gleichstellung der Geschlechter ein.
Metapher der Bienen: Ein Bienenvolk existiert nur durch Kooperation. Jede Biene hat ihre Aufgabe, und das Vertrauen zwischen ihnen hält den Stock lebendig. Eine einzelne Honigbiene kann nicht überleben. Manche Wildbienen leben allein, andere teilen sich ein Nest – doch sie alle reagieren auf ihr Umfeld, in Beziehung zueinander. So ist auch die Stadt ein lebendiger Organismus, der Gleichgewicht zwischen Gemeinschaft und Rückzug braucht.
Stadtgestaltung: Eine gute Stadt ist eine, in der Gemeinschaft sichtbar wird. Innenhöfe, Gemeinschaftsgärten, Spielplätze und Straßen mit „Augen“ schaffen Orte, an denen Menschen einander begegnen. Öffentliche Räume werden zu Bühnen des Alltags für Kinder, Eltern und Senior*innen. Dort, wo Menschen sich sehen und wahrnehmen, wächst Sicherheit. Städte brauchen diese Mikroszenen des Miteinanders – Räume für informelle Treffen, Orte zum Austausch und gemeinsame Treffpunkte, an denen Begegnung und Nachbarschaft lebendig werden.
Feministische Perspektive: Eine feministische Stadt erkennt Einsamkeit nicht als privates, sondern als räumliches Problem. Einsamkeit ist die Stille einer falsch geplanten Stadt. Wer Inklusion will, muss Räume schaffen, die Begegnung ermöglichen – durch Licht, Wärme, Sichtbarkeit und Vertrauen. Feministische Stadtplanung bedeutet, Gemeinschaft zu entwerfen statt Strukturen. Wie die Bienen gemeinsam ihren Stock bauen, so schaffen Bewohner*innen die soziale Textur der Stadt – durch Kooperation, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit.

3. Die Kraft und Weisheit der Natur
Ort: Hexen-Skulptur auf dem Grimm-Spielplatz, Elfriede-Kuhr-Straße
Frauenviertel Rudow: Das Frauenviertel Rudow ist eine Siedlung im Grünen, geprägt von reicher Vegetation und vielfältiger Natur. Doch Ökologie bedeutet mehr als nur Bäume und Rasen – sie zeigt sich auch in der Art, wie wir Energie, Wasser und Raum planen. Nachhaltige Stadtplanung heißt, dass jedes Gebäude, jeder Weg und jede Grünfläche Teil eines ökologischen und energetischen Kreislaufs sind. Regenwasser soll nicht abfließen, sondern Pflanzen nähren; Dächer können Energie erzeugen; Straßen sollten Luft filtern statt sie verschmutzen.
Persona: Die Hexe steht für weibliche Weisheit, Kreativität und Kraft – für Frauen, die den Rhythmus der Natur verstanden. Sie wurden oft als Hexen bezeichnet und verfolgt, weil sie Wissen hatten und dieses Wissen solidarisch teilten, Wissen wie man heilt, überlebt und sich gegen Unterdrückung wehrt. Die Hexen-Skulptur kann uns daran erinnern, dass Wissen über Natur und Fürsorge für das Leben kein Relikt der Vergangenheit ist, sondern Schlüssel für die Zukunft.
Metapher der Bienen: Der Bienenstock ist ein ökologisches Mikrosystem – ein Zusammenspiel von Energie, Arbeit und Abhängigkeit. Bienen schaffen ein komplexes Netzwerk des Lebens: Sie sammeln Pollen, bestäuben Pflanzen und speichern Energie in Form von Honig. Ihre Arbeit ist reine Erneuerbarkeit – ohne Abfall, ohne Überfluss. Sie lehren uns, dass Gleichgewicht nur entsteht, wenn jedes Element im Kreislauf von Geben und Regeneration funktioniert.
Stadtgestaltung: Eine Stadt im menschlichen Maßstab ist klimafest, regenerativ und zukunfts-fähig. Sie integriert Prinzipien der Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien und grüne Infrastrukturen. Stadtplanung muss Zugang zu sauberer Energie, Wasser und Luft gewährleisten, emissionsarme Mobilität fördern und jene schützen, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Städtisches Grün ist keine Dekoration, sondern Lebensinfrastruktur – es reinigt die Luft, speichert Wasser, kühlt die Stadt und stärkt die Resilienz. Es sollte klug und sparsam geplant werden: mit heimischen, trockenheitsresistenten Arten, die Biodiversität fördern. So wie Bienen vielfältige Blüten brauchen, brauchen Bewohner*innen vielfältiges, zugängliches Grün – wild, blühend, gemeinschaftlich. Gärten, Parks und grüne Straßen werden zu Orten des Austauschs, der Erholung und des Zusammenlebens.
Feministische Perspektive: Die feministische Stadt sorgt für alle Lebensformen. Sie betrachtet die Natur als Partnerin – nicht als Kulisse. Sie bekämpft Energiearmut, die besonders Frauen* betrifft, und fördert Energiedemokratie: lokale Produktion und gemeinschaftlichen Besitz von Energieinfrastruktur. Ein grünes, energieautarkes Stadtviertel wird zu einem Raum der Fürsorge, Widerstandskraft und Solidarität – mit Mensch und Umwelt zugleich.

4. Fürsorge, Gesundheit und Alltagsleben
Ort: Elfriede-Kuhr-Straße
Frauenviertel Rudow: Im Frauenviertel Rudow zeigt sich Fürsorge überall – in Nachbarschaften, auf 6 Spielplätzen, in 2 Schulen und 5 Kindergärten, in allgemeinmedizinischer Versorgung und im Senior*innenheim. Es ist ein Viertel voller Orte der Pflege, allerdings ohne frauengesundheitliche Versorgung.
Persona: Elfriede Kuhr (1891–1966) – Ärztin und Kommunalpolitikerin, Symbol für Fürsorge und öffentliche Gesundheit. In einer Zeit, in der Frauen kaum über ihr eigenes oder fremdes Wohl entscheiden durften, war Kuhr ein Beispiel für Mut und soziales Engagement. Sie erinnert daran, dass Gesundheit mehr bedeutet als Heilung – sie beginnt mit Bildung, Hygiene, Erholung und menschenwürdigen Lebensbedingungen.
Metapher der Bienen: Im Bienenstock hat jede Biene ihre Aufgabe – Arbeiterinnen, Pflege-rinnen, Wächterinnen, Königin. Ihr Zusammenhalt sichert das Überleben des gesamten Volkes. Bienen kümmern sich umeinander, regulieren Wärme, teilen Nahrung, schützen ihr Zuhause. Ihre Stärke liegt in der Fürsorge, nicht in der Hierarchie. Honig, Wachs und Gelee Royal stehen seit Jahrhunderten für Heilung, Energie und Regeneration – Sinnbilder einer natürlichen Medizin und gemeinschaftlichen Gesundheit.
Stadtgestaltung: Zukunftsstädte müssen um das Prinzip der Fürsorge herum gestaltet werden. Wir brauchen Care-Hubs – Orte, die Gesundheits-, Bildungs- und Gemeinschaftsfunktionen verbinden, fußläufig erreichbar und inklusiv. Architektur der Pflege bedeutet Zugänglichkeit, Licht, Ruhe, Sinnlichkeit und Sicherheit. Öffentliche Räume sollten Erholung ermöglichen: Bänke im Schatten, therapeutische Gärten, städtische Bäder, Saunen, Senior*innen- und Frauen*zentren. Ein Netz grüner Korridore unterstützt psychische Gesundheit und alltägliche Begegnungen.
Feministische Perspektive: Die feministische Stadt basiert auf Fürsorge – familiär, sozial und ökologisch. Gesundheit und Wohlbefinden sind ihr zentrales Ziel, nicht bloßer Nebeneffekt. Care-Arbeit ist kein privates „Frauenthema“, sondern gemeinschaftliche Verantwortung. Die Stadt bietet allen Raum für ein gesundes, aktives und würdevolles Leben. Sie stärkt Solidarität zwischen den Generationen und schafft Netzwerke gegen Einsamkeit und Ausgrenzung.

5. Kommunikation, Zugänglichkeit und Bewusstsein der Leere
Ort: Lieselotte-Berger-Platz
Frauenviertel Rudow: Das Viertel ist sorgfältig geplant: breite Gehwege, Baumreihen und Park-streifen (genutzt auch von Menschen außerhalb des Quartiers). Trotzdem wirkt es isoliert, und es gibt zu Stoßzeiten nicht genug Busverbindungen, besonders für Frauen* mit Kindern und ältere Menschen. Die seit Beginn geplante Station der U7 am Lieselotte-Berger-Platz wurde nie gebaut. Der Platz – groß, leer, ohne Schatten – ist zum Symbol der fehlenden Verbindung geworden. Die Siedlung verfügt über ein ausgedehntes Fußgängerwegenetz, das den Bewohner*innen ermöglicht, die einzelnen Siedlungen abseits der Straßen zu begehen. Dies steigert die Aufenthalts- und Erholungsqualität innerhalb des Viertels und ist ein grundlegender Bestandteil des Freiraumkonzepts.
Persona: Lieselotte Berger (1920–1989), deutsche Politikerin (CDU), Staatssekretärin beim Bundeskanzleramt und Bevollmächtigte der Bundesregierung in Berlin. Ihr Name steht heute über einem leeren Platz – vielleicht könnte dies ein Zeichen dafür sein, Verantwortung zu übernehmen, Leere zu füllen und Ausschluss zu überwinden.
Metapher der Bienen: Der Bienenstock scheint perfekt – geometrisch exakt, ohne Lücken. Doch sein Leben ist Bewegung: vibrierend, sich wandelnd, atmend. Leere bedeutet hier nicht Ruhe, sondern Verlust von Gemeinschaft und Rhythmus.
Stadtgestaltung: Keine Isolation, keine toten Räume. Eine kompakte, gut vernetzte Stadt mit sicheren Fuß- und Radwegen, verlässlichem öffentlichen Verkehr und lebendigen Orten des Austauschs. Jede*r sollte innerhalb von wenigen Minuten eine Haltestelle, einen Park, einen Laden oder ein Café erreichen können. Die öffentliche Infrastruktur – Straßen, Plätze, Wege, Haltestellen – ist das Rückgrat des städtischen Lebens. Eine Stadt ohne Barrieren, ohne Abhängigkeit vom Auto – vielfältig, durchlässig, lebendig.
Feministische Perspektive: Die feministische Stadt ist eine Stadt der Bewegung, der Begegnung und der Sichtbarkeit. Kommunikation, Mobilität und Infrastruktur sind keine technischen Details, sondern Voraussetzungen für Gleichheit, Teilhabe und Freiheit. Sie ermöglichen Alltag, Nähe und Sicherheit. Die feministische Stadt kennt keine Leere – sie wird von Menschen gestaltet, die sich den Raum aneignen, verändern und beleben. Leere wird hier zum Impuls: zum Handeln, zum Gespräch, zur gemeinsamen Gestaltung.

6. Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung
Ort: Gertrud-Dorka-Weg
Frauenviertel Rudow: Das Frauenviertel Rudow entstand in den 1990er Jahren auf ehemaligen Feldern – als völlig neues Wohngebiet ohne historische Bausubstanz, ohne gewachsene Erinnerungen. Es ist ein Beispiel für eine Stadtplanung auf der „grünen Wiese“, in der Identität erst geschaffen werden muss. Anders als in den alten Teilen Berlins war hier nicht die Geschichte Ausgangspunkt, sondern eine leere Fläche. Diese Leere ist eine Herausforderung – aber auch eine Chance: neue Narrative, neue Formen der Zugehörigkeit, neue Gemeinschaften können entstehen. Die Straßennamen, die alle an bedeutende Frauen erinnern, bilden die erste Schicht dieser neuen Erinnerung – ein kollektives Gedächtnis, das noch im Entstehen ist.
Persona: Gertrud Dorka (1893–1976) war Lehrerin, Archäologin und Direktorin des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte. Sie entdeckte das Grab der sogenannten „Prinzessin von Britz“, die sich später als “Prinz von Britz” herausstellte – eine Entdeckung, die Fragen nach Identität, Geschlecht und Erinnerung aufwirft. Dorka steht auch für Resilienz und Widerstand, sie ließ sich in ihrer Forschung nicht durch Ideologien des Nationalsozialismus vereinnahmen und verweigerte den Eintritt in die NSDAP, auch wenn das für sie berufliche Rückschläge bedeutete.
Metapher der Bienen: Bienen erkennen sich am Geruch. Das Gedächtnis des Stocks ist seine Identität. Sie orientieren sich präzise im Raum, merken sich ihren Standort und kehren immer wieder dorthin zurück. Ihr Überleben hängt von dieser Erinnerung ab – von Kontinuität, Orientierung und Zugehörigkeit.
Stadtgestaltung: In neuen Stadtteilen, die „aus dem Nichts“ entstehen, ist Erinnerung kein Erbe, sondern Aufgabe. Die Integration von Geschichte, Symbolen und lokalen Bezügen schafft Orte, die Identität stiften. Das bedeutet: kleine Erinnerungsorte, Wandmalereien, Tafeln, Archive des Alltags. Der Schutz und die Sichtbarmachung weiblicher und queerer Geschichte in der Stadt ist Teil einer lebendigen Erinnerungskultur. Neue Quartiere sollten sich organisch in die Stadtstruktur einfügen – durch Wege, Nachbarschaften, Übergänge und Bezüge zur Umgebung. Gestaltung ohne Kontext zerstört Identität; Gestaltung mit Kontext schafft Zugehörigkeit.
Feministische Perspektive: Eine feministische Stadt entsteht nicht aus Stein, sondern aus Geschichten. Sie erkennt an, dass Identität ein Prozess ist – vielschichtig, wandelbar und offen. So wie Bienen immer zu ihrem Stock zurückfinden, brauchen auch Menschen Orte, die ihnen Orientierung, Erinnerung und Zugehörigkeit geben. Eine feministische Stadt schafft Raum für vielfältige Identitäten und Geschlechterrollen – und macht sichtbar, was lange unsichtbar war: die Spuren von Frauen, queeren Personen sowie migrantischen und marginalisierten Gruppen.

7. Politisches Erbe und Demokratie
Ort: Jeanette-Wolff-Straße
Frauenviertel Rudow: Rudow wirkt ruhig, doch auch hier sind politische Spannungen spürbar. Seit Jahren zeigen sich rechtspopulistische und nationalistische Tendenzen – in Übergriffen und Anschlägen, Symbolen und Parolen. Das erinnert daran, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern tägliche Aufmerksamkeit und Beteiligung braucht – auch im unmittelbaren städtischen Umfeld. Es müssen mehr solidarische Schutzräume geschaffen, existierende lokale Initiativen gegen Rechts unterstützt und die Opfer geschützt werden.
Persona: Jeanette Wolff (1888–1976) – Sozialdemokratin, Holocaust-Überlebende, Kämpferin für soziale Gerechtigkeit und Frauenrechte. Ihr Leben steht für Mut, Solidarität und unerschütterlichen Glauben an die Demokratie. Wolff zeigt, dass Politik nicht nur in Institutionen stattfindet, sondern in der Verantwortung füreinander und im Widerstand gegen Ungerechtigkeit.
Metapher der Bienen: Bienenkolonien reagieren empfindlich auf Giftstoffe – Pestizide, Luftverschmutzung und Krankheiten gefährden ihr Überleben. Bienen können nur in einem gesunden, ausgewogenen Ökosystem existieren – ebenso wie eine Gesellschaft, die auf Werten, Zusammenarbeit und Solidarität beruht. Wird ein Bienenstock angegriffen, bilden die Bienen am Eingang ein lebendes Schutzschild und gemeinsam den Angriff abzuwehren.
Stadtgestaltung: Die Stadt ist immer auch ein politischer Raum – ein Ort, an dem Macht, Sichtbarkeit und Teilhabe verhandelt werden. Demokratie beginnt mit Zugänglichkeit: mit öffentlichem Nahverkehr, Bildung, gemeinschaftlichen Einrichtungen und Orten für Diskussion. Gleichheit und Gerechtigkeit lassen sich planen – durch offene Plätze, transparente Entscheidungsprozesse und Architektur, die Teilhabe für alle ermöglicht, statt Hierarchien zu verstärken. Straßennamen, Plätze und öffentliche Räume sind politische Botschaften. Symbolische Anerkennung – wie Frauennamen im Stadtbild – ist wichtig, aber nicht genug. Notwendig sind echte Beteiligungsinstrumente: lokale Foren, Mikrofonds, Bürger*innenwerkstätten und demokratische Lernräume.
Feministische Perspektive: Die feministische Stadt ist eine Stadt ohne Gewalt und Ausgrenzung, in der alle Stimmen gehört werden. Frauen*, queere Personen und Minderheiten müssen gleichberechtigt an Entscheidungen beteiligt sein – von der Raumplanung bis zur Politik. Feministische Demokratie bedeutet Empathie und geteilte Verantwortung anstelle von Hierarchie. Sie hört zu, schützt und schafft Raum für Vielfalt – auch für leise Stimmen.

8. Die Stimmen – Sichtbarkeit, Schönheit und Repräsentation
Ort: Elly-Heuss-Knapp-Straße
Frauenviertel Rudow: Im Viertel zeigt sich ein starkes Bedürfnis nach Ausdruck – sichtbar in Graffiti, kleinen Gesten und improvisierten Zeichen im öffentlichen Raum. Seit 2017 schmückt ein Wandbild zur nachhaltigen Stadtentwicklung die Fassade eines Gebäudes (Lieselotte-Berger-Str./ Elly-Heuss-Knapp-Straße). Es entstand im Rahmen der globalen Kampagne #UrbanAction, initiiert von UN-Habitat, DGVN, BMZ, der Stadt Berlin und realisiert vom Bonner Künstlerkollektiv „The Ruined Kings“. Das Wandbild steht für die Kreativität, Energie und Gestaltungskraft junger Menschen – ein Symbol für Hoffnung und Wandel durch öffentliche Kunst.
Persona: Elisabeth „Elly“ Heuss-Knapp (1881–1952) war eine Pädagogin, Sozialreformerin und eine der ersten Frauen, die das Medium Radio als kreatives Werkzeug nutzten. Sie erfand das Radio-Jingle – ein Stück auditiver Werbung, das Information mit Emotion verband. In einer Zeit, in der Frauen* selten gehört wurden, schuf sie eine neue Form von Sprache: kurz, einprägsam, öffentlich.
Metapher der Bienen: Im Bienenstock sprechen Bienen durch Tanz, Vibration, Duft und Klang. Jede Bewegung überträgt Information – über Richtung, Nahrung, Gefahr. Kommunikation hält das System am Leben. Ohne Austausch, ohne Resonanz stirbt der Schwarm. So wie eine Gesellschaft, die ihre Stimmen verliert.
Stadtgestaltung: Der Klang einer Stadt erzählt von ihrer Lebendigkeit und ihren Menschen. Straßenlärm, Stimmen, Musik – all das prägt das städtische Leben. Kommunikation und Sichtbarkeit sind essenziell für eine gesunde Stadt. Eine demokratische, inklusive Stadt schafft Räume, in denen Menschen miteinander reden, ihre Meinungen äußern und einander zuhören können: Foren und Agoras, Nachbarschaftsräte, offene Bühnen und Räume für Kunst und Debatten. Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist auch eine Form der Sprache – sie erzählt, wer gehört und gesehen wird und wer nicht. Architektur sollte den Dialog und die Sichtbarkeit fördern durch offene Plätze und gute Akustik. Die Stadt sollte frei von Lärmbelastung sein und Zonen der Stille und Besinnung bieten. Kunst im urbanen Raum gibt Stimmen Raum und macht sie erfahrbar.
Feministische Perspektive: Eine feministische Stadt hört zu. Sie stärkt marginalisierte Stimmen, gibt ihnen Raum und respektiert sie als Teil des kollektiven Wissens. Sichtbarkeit ist kein Luxus, sondern Recht auf Teilhabe: das Recht, gehört, gesehen und ernst genommen zu werden. Schönheit ist politisch – sie entsteht, wenn Räume nicht ausschließen, sondern verbinden. Die feministische Stadt ist ästhetisch, sinnlich, zugänglich und spricht mit allen Sinnen und Stimmen.

9. Arbeit und Gewebe
Ort: Ottilie-Baader-Platz
Frauenviertel Rudow: Im Frauenviertel konzentriert sich die Arbeit vor allem auf Care- und Dienstleistungsberufe – in Kindergärten, Pflegeheimen, Supermärkten. Diese Arbeit ist essenziell, aber oft unsichtbar und unterbewertet. Viele Menschen, die hier arbeiten, leben nicht im Viertel, sondern pendeln täglich. Lokaler Einzelhandel hat es schwer, sich gegenüber groß-flächigen Ketten und Onlinehandel zu behaupten.
Persona: Ottilie Baader (1847–1925) war eine Pionierin der Frauenbewegung und Sozialistin. Sie kämpfte für die Rechte der Arbeiterinnen – für gerechte Löhne, Bildung und soziale Absicherung. Ihr Engagement zeigt, wie Frauen durch Solidarität, Wissen und Organisation die Stadt verändern können.
Metapher der Bienen: Im Bienenstock hat jede Biene, von der Arbeiterin bis zur Königin, ihre Rolle. Energie und Arbeit zirkulieren ununterbrochen. Das Bauen von Waben, das Sammeln von Nektar, die Pflege der Brut – alles greift ineinander. Ihre Arbeit hält das Leben am Laufen, ohne Überflüssiges. Auch in der Stadt braucht es dieses Geflecht aus Tätigkeiten, Sorge und Kooperation.
Stadtgestaltung: Eine gerechte Stadt bietet erschwingliche und multifunktionale Räume: Werkstätten, Co-Working-Spaces, Nachbarschaftszentren, Orte für Kultur, Bildung und Erholung. Diese Räume fördern Austausch, Kreativität und Solidarität – sie sind das soziale Gewebe der Stadt. Planung muss darauf achten, dass Arbeit, Wohnen und Freizeit nicht voneinander getrennt, sondern miteinander verflochten bleiben. Nur so bleibt die Stadt lebendig und widerstandsfähig.
Feministische Perspektive: Zugängliche Lebens- und Arbeitsräume fördern soziale Vielfalt, Bürger*innenengagement und Kreativität. Jede Tätigkeit – Sorgearbeit, Pflege, Bildung, künstlerisches Schaffen – ist Teil des kollektiven Organismus Stadt. Feministische Stadtplanung macht Arbeit sichtbar, wertschätzt das Unsichtbare und schafft Strukturen, die Kooperation statt Konkurrenz ermöglichen. Ein feministisches Verständnis von Stadt erkennt Arbeit – bezahlte wie unbezahlte – als Fundament des sozialen Zusammenhalts an.

10. Manifest, Freiheit und Partizipation
Ort: Hexenhaus im Südpark, Frauenviertel Rudow
Frauenviertel Rudow: Im Südpark, einem schönen, wilden, aber auch gepflegten Park, findet man noch heute Spuren der Grenze und der Infrastruktur der Berliner Mauer. Überwuchert, aber ist es wirklich vergessen? Der Fall der Berliner Mauer war ein großer Schritt zur Freiheit für Deutschland, zugleich aber ein bis heute kaum verarbeiteter Prozess einer ungleichen Wiedervereinigung. Der Birkenwald und das Hexenhaus auf Hühnerbeinen sind Symbole für die Stimmen kluger Frauen. Wie leben die Menschen im Frauenviertel Rudow? Was sind Ihre Wünsche und Bedürfnisse? Was würden sie verändern? Was mögen sie an ihrem Viertel?
Persona: Du. Eine zeitgenössische Frau*. Jede* von uns sollte die Möglichkeit haben, passiv oder aktiv an der Gestaltung der Stadt teilzunehmen, wenn sie den Wunsch danach verspürt.
Metapher der Bienen: Bienen sind von enormer Bedeutung für das Leben auf der Erde und für das Gleichgewicht der Ökosysteme. Sie bestäuben bis zu 77 % der Pflanzenarten, aus denen pflanzliche Nahrungsmittel gewonnen werden. Ohne Bienen wird die Menschheit aussterben. Schätzungen zufolge würde die Menschheit nur vier Jahre nach dem Aussterben der Bienen folgen. Deshalb ist es entscheidend, sich um die Bienen zu kümmern. Dazu zählen auch besonders die Wildbienen, die im Nord- und Südpark zu finden sind.
Stadtgestaltung: Stadt sollte mit den Bewohner*innen und für die Bewohner*innen entstehen. Jeder Planungsschritt – von der Konzeption öffentlicher Räume bis zur Wahl der Handelsfunktionen – sollte konsultiert und gemeinsam entschieden werden. Um die Stimme der Bewohner*innen zu stärken, sind Nachbarschaftsräte, Beteiligungsplattformen, partizipative Workshops mit Bewohner*innen aller sozialen Gruppen sowie Mechanismen zur Einreichung von Ideen und Problemen sinnvoll. Partizipative Haushalte für kleine städtische Interventionen sind eine strategische Möglichkeit. In Städten sollte es die Möglichkeit geben, Räume durch Nutzer*innen anzupassen (z. B. temporäre Gärten, Veranstaltungsbereiche, Murals).
Feministische Perspektive: Freiheit in der Stadt bedeutet, den eigenen Raum mitbestimmen, Bedürfnisse ausdrücken und Initiativen umsetzen zu können. Handlungsmacht ist der reale Einfluss der Bewohner*innen auf Planungs- und Nutzungsprozesse – von der Wahl der Funktionen öffentlicher Räume bis zu Entscheidungen über Grünflächen, Veranstaltungen und Kleininfrastruktur. Sie ermöglicht es Frauen*, Familien und marginalisierten Gruppen, ihre Umgebung aktiv zu gestalten, steigert die soziale Verantwortung und die Integration der lokalen Gemeinschaft. Dazu bedarf es sowohl Werkzeugen als auch Engagement.
Konzept: Mareike Wenzel und Anna Krenz
Publikation ― Illustrationen, Texte, Grafik und Gestaltung: Anna Krenz
Audiowalk ― Interviews, Texte, Sound und Gestaltung: Mareike Wenzel
Stimmen im Audiowalk: Claudia von Gélieu, Bärbel Ruben, Karin Korte, Flamingo e.V., Danae Schmitt, Daniela Dachrodt, Verena Kiecker, Zeliha Cakirtekin und weitere
Danke an: Frauentouren, Museum Neukölln, Flamingo e.V. und alle, die das Projekt mit Rat und Tat unterstützt haben
Empfehlungen:
FRAUENTOUREN | Claudia von Gélieu www.frauentouren.de
Flamingo e.V. flamingo-berlin.org
Autorinnen
Mareike Wenzel ist eine Berliner Schauspielerin und Theatermacherin. Seit 2007 ist sie Teil des renommierten Performance-Kollektivs SIGNA und spielte u.a. am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, der Volksbühne Berlin, den Salzburger Festspielen und am Schauspiel Köln, viele dieser Arbeiten wurden ausgezeichnet. Neben ihrer Arbeit als Schauspielerin leitet Mareike das georgische Kindertheater Aitsona-Daitsona in Tbilisi und realisierte verschiedene partizipative Performances zusammen mit Frauen*rechts und LGBTIQ+ Organisationen in Georgien und Deutschland. In den letzten Jahren richtete Mareike ihren Fokus auch auf performative Audioformate, die Orte mit unterschiedlichen Narrationen überschreiben und miteinander
Anna Krenz ist polnische Künstlerin, Architektin, Autorin und Aktivistin. Sie ist Mitgründerin des Designstudios „Sinus_3”, wo sie Performances, Filme und Installationen entwickelt, die sich mit nachhaltiger Architektur und Stadtplanungstheorie im öffentlichen Raum und in der Geschichte beschäftigen. Gründerin von Dziewuchy Berlin, einem feministischen Kollektiv, das polnische Frauen* international unterstützt und sich aktiv für Frauen*- und Menschenrechte in Polen und Deutschland einsetzt. Seit vielen Jahren engagiert sich Anna Krenz in Projekten zur der polnisch-deutschen Beziehungen und zur Frauengeschichte.
Sie schafft künstlerische Arbeiten, Ausstellungen, Projekte und Kampagnen, verfasst Texte und hält Vorträge. Seit 2003 lebt sie in Berlin.
Wir wollen den Hörspaziergang am 16.11.2025 dem stillen Gedenken besonders den Frauen im Widerstand widmen. Das Projekt versteht sich als stiller Beitrag zum kulturellen Gedenken am Volkstrauertag und steht im Einklang mit der Berliner Feiertagsruhe (§ 6 FeiertG Bln).
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Ein Projekt von Ambasada Polek e.V.
Kontakt: ambasadapolek@gmail.com
www.ambasadapolek.org
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Das Projekt wird gefördert durch den Fachbereich Kultur des Bezirksamts Neukölln von Berlin:

